Starter sind gefragt – Gedanken von Cornelius Küttner

„Starter sind gefragt…“

Frage ich mich zuerst: Was sind denn Starter?

Sind es Anfänger im Sinne von unerfahrenen, unverbrauchten Menschen? Oder handelt es sich eher um diejenigen, die etwas beginnen?

Starter = Unerfahren, unverbraucht. Oder: Beginner?

Ich lege mich für diesen Artikel einmal auf die zweite Leseart fest. So geht es für mich nicht ausschließlich um junge Menschen, Berufsanfänger, auch wenn ich zu der Spezies gehöre.

Mir geht es hier mehr um das Beginnen. Wieso beginnen und was beginnen? Dahinter steckt die Frage: Wer fragt nach den Startern, den Beginnern?

Zunächst eine soziologische Beobachtung: Mir scheint, dass sogenannte Startups Hochkonjunktur haben. Im technischen Bereich das Bekannteste von allen ist wohl „Tesla“, die Automarke von Elon Musk.

Auch in anderen Bereichen gibt es eine Reihe von Startups[1].

Allen gemeinsam ist, dass sie bekanntes Know-how mit einem mutigen Schritt an Innovation verbinden, um ihre angebotenen Produkte besser auf gegenwärtige Anforderungen abzustimmen.

Dafür ist ein gewisses Maß an Radikalität erforderlich.

Es braucht ein gewisses Maß an Radikalität

Bei der Automarke „Tesla“ beispielsweise ist es das alleinige Setzen auf Elektroantrieb. Elon Musk hat diese Antriebsform keineswegs erfunden, aber er hat sie weiterentwickelt und in ihrem radikalen, sprich ausschließlichen Einsatz marktfähig gemacht.

Jetzt die Frage: Sollten „Starter“ tatsächlich gefragt sein, was könnten wir als Kirchendiener dann von denjenigen Startups mit wirtschaftlichem Interesse lernen?

Ich bin keineswegs der Erste, der sich diese Frage stellt. Vor mir liegt ein interessantes Buch mit dem Titel: „Gründer*innen-Handbuch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte“.[2]

Es entstammt der Feder zweier katholischer Theologenkollegen. In der Begegnung mit einem von ihnen auf einem Innovationstag spürte ich dieselbe Leidenschaft fürs Aufbrechen wie ich sie lebe. Unterschied: Dieser Mann hat mir an Alter und Erprobungserfahrung einiges voraus. Was mich am meisten an diesem Mann faszinierte, ist der Mut Unternehmertum und kirchliches Handeln zusammenzudenken. Man spürt es dem Buch in Vokabular und Ideengebung auf jeder Seite ab.

Es muss also was dran sein, an der Startup-Welle unserer Zeit. Und es muss etwas drin sein, für die Kirche, ihr Personal und vor allem die Menschen, die in unserem Kontext etwas suchen.

Was genau könnte das sein?

Ich beschränke mich für diesen Artikel auf eine einzige Sache, mit der ich aktuell selbst Erfahrungen mache: Vor der Gründung eines jeglichen Startups steht die intensive Erkundung des „Marktes“. Wo fällt ein Bedürfnis einer Zielgruppe mit einem Nutzen, den mein Produkt bietet, zusammen? Daraus entwickelt sich dann eine „Marktstrategie“.

Die „Markterkundung“ bedeutet: HÖREN.
… nach oben, außen, innen.

Auf unsere kirchliche Wirklichkeit heruntergebrochen kann die „Markterkundung“ einzig und allein bedeuten: HÖREN.

Darunter verstehe ich ein Hören in drei Richtungen: nach oben, nach außen, nach innen.


Aktuell habe ich Gemeinschaft mit einer Gruppe von Theolog*innen, die sich ungefähr alle sechs Wochen zu einem Hörabend trifft[3].

Das passiert dort im Wesentlichen: Zusammenkommen, Bibeltext, 15min Hörzeit, die gehörten Eindrücke werden geteilt und dokumentiert, Raum fürs Gebet, Gemeinschaft im Essen.

Unsere Leitfrage ist: Wie können wir als Gruppe dienend in die Landeskirche hineinwirken? Für mich ist das ein Ausdruck davon wie HÖREN nach oben funktionieren kann: regelmäßig, in Gemeinschaft, dokumentiert.

Glücklich macht mich, dass kein Handlungsimpuls am Anfang steht, sondern eine Suchbewegung. Ungefähr so, wie wenn ein Entwickler nach einer Idee sucht. Jede Idee braucht Inspiration.


Die zweite Hörbewegung geht nach außen. Meines Erachtens tut sich in der Richtung gerade unglaublich viel. Von Milieustudien über Kirchenmitgliedschaftsstudien bis hin zu Fortbildung für Haupt- und Ehrenamtliche in Sachen Soziologie.

Mir persönlich und anderen gewiss auch sind das wertvolle Grundlagen. Sie ersetzen aber keinesfalls mein eigenes HÖREN auf den Kontext, meine ganz persönliche „Marktstudie“.

Für diese Art von HÖREN braucht es Begegnung mit Menschen. Ich plädiere stark dafür, dass „Starter“ sich unters Volk mischen. Ich kenne keinen Pfarrer, der keine Begegnung mit Menschen hat. Im Gegenteil: unser Alltag ist vollgepumpt bis oben hin mit Begegnungen. Von Kasualienbesuchen, Geburtstagsbesuchen über Schule, Konfirmandenzeit und Gottesdienst bis hin zur Wahrnehmung öffentlicher Einladungen. Jeden Tag Begegnung.

Braucht es da noch ein Plädoyer für Begegnungen? Ich meine, ja. Denn vermutlich bin ich nicht allein. Die allermeiste Zeit begegne ich Menschen, um abzuladen. Sei es, nur das Geburtstagsgeschenk für einen Jubilar.

 
Ich komme so gut wie niemals mit leeren Händen oder gar einem leeren Kopf. Ich bin wie ein ständig gefülltes Gefäß, bereit zum übersprudeln. Ein solches Gefäß ist aber nicht bereit zum Aufnehmen. In der Selbstwahrnehmung erlebe ich mich oft genug als hörimpotent.

Deswegen noch einmal mein Plädoyer für eine hörende Begegnung mit Menschen. In diesem Fall komme ich leer. Mit nichts. Bereit zum Aufnehmen.

Vorstellbar?

Einen Geburtstagsbesuch bei einem Jubilar ohne Geschenk und ohne auch nur den geringsten Hauch eines frommen Spruches mit dem einfachen Begrüßungssatz: „Ich bin da, um Sie und Ihr Anliegen in mich aufzunehmen. Deswegen komme ich mit leeren Händen.“? Vielleicht.

Oder einmal so in eine Schulstunde kommen? In eine Konfirmandeneinheit? In einen Gottesdienst?

„Starter“ brauchen ein gewisses Maß an Radikalität! Ich weiß, dass dieses Wort in unseren Tagen nicht unverfänglich benutzbar ist. Gleichzeitig weigere ich mich, mir dieses pointierte Wort aus dem Wortschatz streichen zu lassen.

Wenn es um Radikalität von „Startern“ im kirchlichen Kontext geht, dann kann es nach meinem Empfinden nur um radikales Hören gehen.

Hören auf Gott.
Hören auf meine Mitmenschen.
Hören auf mich selbst.

Für die Inspiration: Hören auf Gott. Unverzweckt.

Für die „Marktstudie“: Hören auf meine Mitmenschen. Mir geht’s um die radikal leere Zuwendung zum Menschen.

Und schließlich: Für die Entwicklung eines „Produkts“: Hören auf mich selbst.

Bekannt ist: zum geistlichen Leben gehört die Selbstbegegnung und das Aushalten der eigenen Person in Stille. Einige füllen das mit Bibellesen, persönlicher Gebetszeit und daem eigenen „Studieren“.

Diese Zeiten sind unbestritten wichtig und unersetzbar.

Ich meine aber noch etwas anderes. Auch hier geht es mir um Begegnung. Um Selbstbegegnung. Wie in der Begegnung mit anderen, erlebe ich mich in der Begegnung mit mir selbst häufig als „voll“. Ich bin ein durch und durch gefülltes Gefäß. Mit Terminen? Klar. Mit Verpflichtungen und Wünschen? Auch logisch. Mit Plänen und Aufarbeitungen? Nachvollziehbar. Mit Ideen? Genauso.
 
Nichts davon trägt etwas Schlechtes an sich. All das gehört zu mir und meinem Menschsein.

Jedoch beginne ich damit nichts. Auf diese Weise gefüllt setze ich allenfalls nur fort, was ich schon immer tue.

Um etwas starten zu können, muss ich leer sein. Hier also doch einmal ein theologischer Begriff: Kenosis[4]. Im Kern der Selbstbegegnung steht die Entleerung. Wie jeder Entwickler brauchen auch kirchliche Startups das berühmte „weiße Blatt Papier“.

Mit dem Unterschied: Ich selbst bin das weiße Blatt Papier. Nehme ich Gott in seinem Anliegen ernst, dann folge ich seiner Bewegung: Fleischwerdung. Gott macht sich leer um etwas Neues starten zu können. Das erzählt die Geschichte von Jesus.

Gott macht sich leer um etwas Neues starten zu können.

Folgere ich daraus: Starter sind „leere“ Menschen. Das ist keine Haltung, sondern eine geistliche Übung namens Loslassen: Glaubensüberzeugungen, zurechtgelegte Kategorien für Menschen, Selbsteinschätzungen. Es ist die Bereitschaft, Gott, Mitmenschen und sich selbst noch einmal neu kennenzulernen. Ich persönlich werde dazu in körperlichen Grenzerfahrungen beim Radsport gezwungen. Andere Wege gibt es gewiss auch.

Kehre ich zur Eingangsfrage zurück: Wer fragt nach solchen Startern, solchen Beginnern?

Der gesellschaftliche Wandel? Meine eigene Lust aufzubrechen und Neues zu beginnen? Oder gar Gott, der immer der Gleiche und doch ständig im Wandel ist?

Bemerkt?

Es sind die drei aufgezeigten Dimensionen des HÖRENS.

Bewusst!

Es sind die drei Wirkweisen des einen Liebesgebotes: Gott, mein Nächster, ich selbst.

Überrascht?!

HÖREN und LIEBE sind wohl zwei ganz enge Verbündete.



[1]Ich verzichte ich an dieser Stelle auf Belegangaben, weil ich mit diesem Artikel keinen wissenschaftlichen Anspruch verfolge. Vielmehr vertraue ganz schlicht darauf, dass diese Beobachtung mehrere Leser teilen. Auch sonst habe ich kein Interesse daran, den Leser dieser Zeilen mit langweiligen Fußnoten und ellenlangen Quellentexten zu belasten. Ich gebe offen und ehrlich zu: Ich befinde mich in einem Gedankenaustausch mit vielen inspirierten Menschen und Bewegungen. Wer Spaß daran hat, möge das Plagiat in meinen Worten suchen. Einzig, wo es mir für das Verständnis notwendig erscheint, füge ich in einer Fußnote weiterführende Informationen hinzu.

[2]Erschienen ist dieses Buch mit dem gleichnamigen Titel 2017 im echter-Verlag in Würzburg, zusammengestellt von den beiden Autoren Florian Sobetzko & Matthias Sellmann.

[3]Mehr Infos dazu unter: https://www.churchconvention.de/cc/2018/07/hoerabende-in-jakobus-zwischenbericht/

[4]Klar, dass ich hier Phil 2,4-11 anführe. 😊

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